„Inklusionsstärkungsgesetz – Bedeutung, Chancen und Problemstellungen für kommunale Planungsprozesse“

Inklusionskataster NRW – Workshop vom 22. – 23.05.2017

Hintergrund und Zielsetzung des Workshops

Im Juli 2016 trat das „Erste allgemeine Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen“ in Kraft. Das damit neu eingeführte Inklusionsgrundsätzegesetz (IGG) (welches – neben einigen gesetzlichen Novellierungen – einen Teil des Inklusionsstärkungsgesetzes darstellt) fordert die Träger öffentlicher Belange auf, die „Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention im Rahmen ihres Zuständigkeits- und Aufgabenbereichs zu verwirklichen. Sie übernehmen damit auch Vorbildfunktion für alle weiteren Bereiche der Gesellschaft“ (§ 1). Das Gesetzeswerk bietet insgesamt zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Weiterentwicklung inklusiver Lebensverhältnisse und die Beteiligung von Menschen mit Behinderung.

Ziel des Workshops war es in diesem Zusammenhang gemeinsam der Frage nachzugehen, welche Potenziale das Gesetz für die Planung inklusiver Gemeinwesen beinhaltet und wie diese vor Ort umgesetzt werden können. Der Workshop richtete sich dabei gezielt an Akteure auf kommunaler Ebene, die Planungsprozesse zur Umsetzung der UN-BRK auf lokaler Ebene gestalten.

Artikel in der Siegener Zeitung

(siehe hierzu auch: http://www.siegener-zeitung.de/)

22.05.2017

Nachdem Herr Dr. Armin Leon vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAIS) und Herr Prof. Dr. Albrecht Rohrmann vom Zentrum für Planung und Evaluation der Universität Siegen (ZPE) die Teilnehmenden begrüßt und kurz ins Thema eingeführt hatten, hielt Frau Szymczak – als zuständige Referatsleitung des MAIS – einen Vortrag zum Ersten allgemeinen Gesetz zur Stärkung der sozialen Inklusion in Nordrhein- Westfalen.

Dabei ging sie insbesondere auf die Hintergründe der Einführung des Gesetzes, die Struktur des Gesetzes und die wesentlichen damit einhergehenden Neuerungen ein.

Im Anschluss daran referierte Frau Dr. Susann Kroworsch vom Deutschen Institut für Menschenrecht (DIMR) zur Bedeutung des Gesetzes für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. In ihrem Vortrag ging Frau Dr. Kroworsch  explizit auf die Positionierung des DIMR gegenüber dem Gesetz ein und erläuterte die Aufgaben des Instituts als Monitoring-Stelle in diesem Zusammenhang

Während der interaktiven Phase am Nachmittag setzten sich die Teilnehmenden in zweistündigen Workshops intensiv mit unterschiedlichen Themen auseinander.

Workshop 1: Inklusive Verwaltung

Workshopleitung: Prof. Dr. Albrecht Rohrmann (ZPE) gemeinsam mit Axel Fiedler (Behindertenbeauftragter der Stadt Wetter an der Ruhr)

 

Das Inklusionsgrundsätzegesetz betont die ‚Vorbildfunktion‘ der Träger öffentlicher Belange für die Umsetzung von Inklusion. Dies gilt in besonderem Maße für die Verwaltung. Die Notwendigkeit einer inklusiven Orientierung ergibt sich bereits aus der Gemeindeordnung.

Einen Überblick über die weiteren gesetzlichen Regelungen, die damit verbundenen Begrifflichkeiten und die Ansätze und Probleme in der Umsetzung, gibt das Handout zum Workshop.

 

Im Workshop wurden zunächst die bisherigen Erfahrungen bei den Bemühungen um die Entwicklung einer inklusiven Verwaltung diskutiert. Gerade für Veränderungen in diesem Bereich ist es notwendig, dass Thema Inklusion in einer Stabsstelle zu verankern, die direkt der Verwaltungsleitung zugeordnet ist. Notwendig ist die Unterstützung durch die politische Spitze. Bewährt hat sich der Einstieg in die Thematik durch eine Veranstaltung zur Sensibilisierung, bei der/denen ein Austausch mit Vertreter/innen der Selbsthilfe stattfinden kann oder aber Selbsterfahrungsangebote zur Verfügung gestellt werden (z.B. im Rollstuhl oder mit einer Augenbinde durch das Verwaltungsgebäude).

Als wichtig wird angesehen, den Umgang mit Vielfalt zum Ausgangspunkt zu machen. Dieser ist nicht nur bei der Erbringung von Dienstleistungen für die Bürger/innen bedeutsam, sondern auch für die interne Struktur der Verwaltung (Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft, Sensibilisierung für verschiedene Dimensionen der Ungleichheit in der Verwaltung, usw.).

Aus Sicht der Teilnehmer/innen bietet das Inklusionsstärkungsgesetz eine gute Möglichkeit, das Thema ‚inklusive Verwaltung‘ auf die kommunalpolitische Agenda zu setzen. Dazu müsste es aber von Landesseite durch Kampagnen (einen ‚Paukenschlag‘) in seiner Bedeutung bekannt gemacht werden.

Eine Verwaltung für alle – ein Projekt der Stadt Wetter

Herr Fiedler stellte das Projekt „Eine Verwaltung für alle“ vor. Es wurde im Rahmen der Erarbeitung eines Aktionsplanes ‚Menschengerechte Stadt Wetter (Ruhr)‘ begonnen.

In Kooperation mit dem ZPE der Uni Siegen wurde zunächst eine Befragung aller Mitarbeiter/innen durchgeführt, bei denen diese nach ihren Erfahrungen im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen und deren Angehörigen im Arbeitsalltag gefragt wurden. Die Ergebnisse wurden in einer Mitarbeiterversammlung diskutiert. Zugleich wurden im Rahmen der Veranstaltung die Handlungsbedarfe in den einzelnen Fachbereichen identifiziert (vgl. die Dokumentation  der Befragung und der Ergebnisse der Mitarbeiterversammlung)

Im Anschluss an diesen Auftakt wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die aus elf Mitarbeiter/innen der Verwaltung und externen Mitgliedern besteht. Anhand des Zwischenberichtes stellt Herr Fiedler den Arbeitsprozess und Ergebnisse vor.

 

Zwischenbericht zur Entwicklung einer Verwaltung für alle in Wetter (Ruhr) 2016

 

Im Arbeitsprozess sind die drei Dimensionen ‚Kultur‘, ‚Struktur‘ und ‚Praktiken‘ leitend.

Im Hinblick auf die Veränderung der ‚Kultur‘ wurden Begegnungstage zwischen Verwaltungsmitarbeiter/innen und Menschen mit Beeinträchtigungen sowie Schulungen zur Leichten Sprache durchgeführt.

Zur Veränderungen der ‚Strukturen‘ wurde eine Prioritätenliste für die bauliche Umgestaltung von Verwaltungsgebäuden erarbeitet, von der allerdings erst eine Maßnahme realisiert wurde.

Im Hinblick auf ,Praktiken‘ wurden Maßnahmen zur barrierearmen Nutzung des Internets, die Einrichtung mobiler Sprechstunden und eine veränderte Gestaltung von schriftlichen Materialien (Briefköpfe, Formulare) realisiert.

Im Hinblick auf die Weiterentwicklung einer inklusiven Verwaltung wurden Aspekte der interkommunalen Zusammenarbeit, der Ausbildung des Nachwuchses und der Erarbeitung von Mindeststandards diskutiert.

Workshop 2: Entwicklung der Partizipation von Menschen mit Behinderungen

Workshopleitung: Matthias Kempf, ZPE gemeinsam mit Daniela Eschkotte und Britta Möwes, LAG Selbsthilfe NRW

 

Das Inklusionsgrundsätzegesetz greift das Thema der politischen Partizipation von Menschen mit Behinderungen auf und macht dabei Ausführungen, die generell für die Partizipationsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene gelten, aber auch für Planungs- und Umsetzungsprozesse im Zusammenhang mit diesem Gesetz oder der UN-BRK.

Einen Überblick über die weiteren gesetzlichen Regelungen, die damit verbundenen Begrifflichkeiten und die Ansätze und Probleme in der Umsetzung, gibt das Handout zum Workshop.

Handout zum Workshop

Im Workshop wurden zunächst die mit dem IGG einhergehenden Änderungen anhand eines Handouts von Herrn Kempf vorgestellt. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen von Inklusionsplanungsprozessen.

Handout Partizipation bei Inklusionsplanungsprozessen

Um eine gemeinsame Struktur für die Diskussion der Erfahrungen in den Planungsprozessen zu haben, wurden anhand des vom ZPE verwendeten Planungszirkels die einzelnen Stationen erklärt und erläutert. Darüber hinaus wurde darauf eingegangen, wie in den einzelnen Stationen die Mitwirkung und Einflussnahme von Menschen mit Behinderungen sichergestellt werden kann, bzw. wo noch Herausforderungen bestehen.

Planungszirkel

Ausgehend von den im Handout aufgestellten Thesen und den vier Anregungen für eine systematische partizipative Gestaltung von Planungsprozessen, fand eine rege Diskussion über die unterschiedlichen Erfahrungen im Zusammenhang mit Planungsprozessen statt und darüber, wie das IGG hierauf Einfluss nehmen wird.

Besonders hervorgehoben wurde dabei von den Teilnehmenden, dass die Planungsprozesse unterschiedlich angelegt sind. Diese Unterschiede haben mit der Rolle der Verwaltung, den gebildeten Gremien, den Themen, dem Inklusionsverständnis und auch der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen zu tun. In dem komplexen Geschehen ist die Sicherstellung der Partizipation ein wichtiger Aspekt, der aber nicht isoliert zu betrachten ist. Die Unterscheidung der verschiedenen Phasen des Prozesses wurde als hilfreich angesehen, um in der Planung Übersichtlichkeit herzustellen.

Es wurde auch auf das Instrument der Zielvereinbarung hingewiesen, das schon erfolgreich Anwendung fand, aber insgesamt noch nicht als verbreitet angesehen werden kann. Als möglicherweise problematisch in diesem Zusammenhang wurde angesehen, dass eine Zielvereinbarung zwar eine hohe Verbindlichkeit aufweist, der mit dieser Verbindlichkeit einhergehende Druck aber auch als Gefährdung für entstandene „Gesprächsfäden“ angesehen werden kann. Hier sollten die Anpassungen am Instrument der Zielvereinbarungen durch das IGG beachtet werden und auch in Planungsprozessen verstärkt genutzt werden.

Während zunächst die Regelungen des IGG in den Blick genommen wurden, die auf Partizipation im Zusammenhang mit Planungen abzielen, lag im zweiten Teil der Fokus auf den generellen Partizipationsmöglichkeiten in Kommunen. Hierzu wurde von Frau Möwes zunächst das von der LAG Selbsthilfe durchgeführte und vom ZPE wissenschaftlich begleitete Projekt „Mehr Partizipation wagen!“ anhand einer Präsentation vorgestellt. Ziel des Projektes ist die Möglichkeiten der politischen Partizipation von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen in den Kommunen NRWs weiterzuentwickeln. Hierzu können im Rahmen von Zukunftsworkshops in den jeweiligen Kommunen Vertreter/innen der Verwaltung, der Kommunalpolitik und der Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen zusammen erarbeiten, welche Maßnahmen zur Weiterentwicklung innerhalb von sechs Monaten durchgeführt werden sollen. Frau Möwes ging ebenfalls auf die in diesem Zusammenhang wichtigen gesetzlichen Änderungen durch das IGG ein und verteilte zum besseren Verständnis ein weiteres Handout mit den entsprechenden Gesetzestexten.

Projekt: Mehr Partizipation wagen

Gesetzliche Grundlagen zur Partizipation

Von Seiten der Teilnehmenden wurde die Offenheit des Workshop-Konzepts begrüßt, da die Unterschiedlichkeit der Kommunen betont wurde. Gerade das Zusammenspiel der drei angesprochenen Gruppen von Verwaltung, Kommunalpolitik und Selbstvertretung wurde als zum Teil noch herausfordernd beschrieben. Während die Selbstvertretung der Menschen mit Behinderungen aus gut nachvollziehbaren Gründen höhere Verbindlichkeit und eigene Strukturen fordere, würde teilweise der Mehrwert einer umfassenden, frühzeitigen und verbindlichen Partizipation noch nicht überall gesehen. Hier müsse der Bewusstseinswandel noch besser gelingen und sowohl in der Politik als auch in den Verwaltungen Überzeugungsarbeit geleistet werden. Als ein positives Beispiel für gelingende Partizipation wurde der Inklusionsbeirat auf Landesebene angeführt. Während zu Anfang auch hier die fehlende Verbindlichkeit von Beschlüssen kritisch gesehen wurde, habe sich doch gezeigt, dass die Arbeit wirksam ist und Diskussionen anstößt.

Insgesamt wurde darauf hingewiesen, dass Maßnahmen im Zusammenhang mit politischer Partizipation von Menschen mit Behinderungen auf eine Kultur der Wertschätzung aufbauen sollten. So sind Strukturen und Ressourcen wichtig, aber auch Projekte in denen neue Wege erprobt werden können und Erfahrungsräume sich erweitern lassen. Das Ziel, das auch durch die Regelungen des IGG gestärkt wurde, sollte allerdings sein, dass diese Bemühungen nicht gegen Widerstand durchgeführt werden, sondern in Wertschätzung der Expertise von Menschen mit Behinderungen.

Workshop 3: Die Verwendung Leichter Sprache

Workshopleitung: Miriam Düber und Katrin Klöckener, ZPE gemeinsam mit Annika Nietzio, Agentur Barrierefrei NRW

 

Das Inklusionsstärkungsgesetz stärkt die Rolle leicht verständlicher und Leichter Sprache im Verwaltungshandeln (durch entsprechende Änderungen im Behindertengleichstellungsgesetz und der Kommunikationsunterstützungsverordnung) und bei Wahlen auf kommunaler und Landesebene.

Einen Überblick über die entsprechenden gesetzlichen Regelungen, die damit verbundenen Begrifflichkeiten sowie die Ansätze und Probleme in der Umsetzung, gibt das Handout zum Workshop:

Handout zum Workshop
 

Im Workshop wurden zunächst die bisherigen Erfahrungen im Rahmen des Modellprojektes „Übersetzung von Verwaltungsakten in Leichte Sprache“ des Forschungsinstituts Technologie und Behinderung (FTB) durch Frau Nietzio vorgestellt.

Die Umsetzung von Leichter Sprache im Kontext von Verwaltungshandeln verbindet sich dabei mit besonderen Herausforderungen, wie beispielsweise der Anforderung der Rechtssicherheit von Texten. Im Rahmen des Projektes werden derzeit verschiedene Ansätze der Umsetzung entwickelt (welche als Handreichung für Kommunen am Ende des Projektes veröffentlicht werden sollen)

Die folgenden Dokumente geben einen umfassenden Einblick in das Projekt:

ppt Präsentation: Vorstellung des Projektes „Übersetzung von Verwaltungsakten in Leichte Sprache“

Kurzbeschreibung des Projektes

Zwischenbericht des Projektes

Im Rahmen des Workshops wurde ebenfalls ein kritischer Blick auf das Konzept der Leichten Sprache geworfen. So gestaltet es sich aus sprachwissenschaftlicher Sicht beispielsweise problematisch, dass es nach wie vor noch keine einheitliche, allgemein oder wissenschaftlich anerkannte Definition von Leichter Sprache gibt. Weiterhin fehlt bisher die Vereinheitlichung und Entwicklung EINES allgemeinverbindlichen, institutionell anerkannten Standards der Gütekriterien und Richtlinien für Leichte Sprache. Stattdessen existieren unterschiedliche Regelwerke. Die höchst heterogene Adressatengruppe mit unterschiedlichen Bedürfnissen wird meist weder als Problem thematisiert noch reflektiert. Auch bei der sprachlichen Modifikation der Texte kommt es zu ganz unterschiedlichen Problemen. So werden beispielsweise deskriptive Aussagen häufig durch evaluative Aussagen (mit den Adjektiven „gut“/“schlecht“) ersetzt.

Eine Orientierung zur sprachwissenschaftlichen Einordung gibt das folgende Handout:

Handout zur sprachwissenschaftlichen Einordnung von Leichter Sprache

 

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht kann es wiederum kritisch betrachtet werden, dass die Konstruktion der Gruppe der „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ und die damit verbundenen Defizit-Zuschreibungen (z.B. diese Gruppe kann schwierige Texte grundsätzlich nicht verstehen) durch das Konzept der Leichten Sprache (als „Sondersprache“ für diese Zielgruppe) weiter gefestigt werden. Zudem besteht die Gefahr der Vernachlässigung von Aspekten sprachlicher Bildung und die Verfestigung von Machtasymmetrien. Die Verwendung Leichter Sprache kann mit stigmatisierenden Effekten einhergehen. Ferner ist weiterhin eine deutliche Vermarktung des Konzeptes erkennbar.

Einen Überblick über bestehende Herausforderungen in sozialwissenschaftlicher Hinsicht gibt das folgende Handout.

Thesenpapier zu den Spannungsfeldern im Hinblick auf Leichte Sprache

Im Workshop wurden außerdem die Erfahrungen und Blickwinkel der Teilnehmenden diskutiert. Dabei bestand einerseits der Wunsch nach mehr Einheitlichkeit und Orientierungsmöglichkeiten, andererseits wurde die Heterogenität der Kommunen, aber auch der Zielgruppen von Leichter Sprache sehr deutlich. Die Diskussion führte nochmal vor Augen, dass die Verständlichkeit von Verwaltungssprache ein generelles Problem für die Mehrheit der Bürger/innen darstellt und nicht nur für die Zielgruppen von Leichter Sprache. Die Verbreitung des Konzeptes wurde in der letzten Zeit stark gefördert und Leichte Sprache gesetzlich verankert, wobei das Thema bisher wissenschaftlich kaum aufgearbeitet wurde. So gibt es beispielsweise bisher nahezu kein systematisches Wissen darüber, inwieweit Texte in Leichter Sprache von welcher Zielgruppe rezipiert werden und ob diese tatsächlich hilfreich sind. Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll, immer auch zu überlegen, welche Texte in welcher Form und für welche Zielgruppen übersetzt werden sollen. So kann es beispielsweise im Einzelfall sinnvoller sein, lediglich Kontaktdaten anzugeben (um Inhalte im persönlichen Gespräch zu klären), als Texte in Gänze zu übersetzen. Die Teilnehmenden des Workshops verfolgten in dieser Hinsicht jedoch durchaus unterschiedlichen Strategien.

Workshop 4: Die Herstellung von Barrierefreiheit

WorkshopleitungEva Konieczny und Lena Bertelmann, beide ZPE

 

Das Inklusionsgrundsätzegesetz NRW umfasst das im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) bereits verankerte weite Verständnis von Barrierefreiheit, womit Mobilitätsketten und zugleich eine flächendeckende Barrierefreiheit stärker in den Blick genommen werden können. Die Herstellung von Barrierefreiheit entspricht einer Querschnittsaufgabe und tangiert in ihrer Umsetzung alle Lebens- /Aufgabenbereiche.

Einen Überblick über die weiteren gesetzlichen Regelungen, die damit verbundenen Begrifflichkeiten und die Ansätze und Probleme in der Umsetzung gibt das Handout zum Workshop.

Handout zum Workshop

 

Im Workshop wurden zunächst die bisherigen Erfahrungen bei den Bemühungen zur Herstellung von Barrierefreiheit diskutiert. Gerade für Veränderungen in diesem Bereich ist es notwendig, das Thema Barrierefreiheit als Komfort – Mehrwert für alle und als öffentliches Interesse darzustellen und zum Ausgangspunkt zu machen. Bisher wird es immer noch vorwiegend mit Behinderung verknüpft und eindimensional aufgegriffen. Es ist Bestandteil einer integrierten Sozialplanung. Bewährt hat sich hinsichtlich eines flächendeckenden Konzepts, des Subsidiaritätsprinzips und insbesondere der knappen Haushaltsmittel, die Verwaltungsspitze (Führungsebene) mit einzubeziehen und das Thema in den politischen Raum zu stellen. Der Einschätzung der Teilnehmer/innen nach wird Barrierefreiheit bislang überwiegend auf Gebäude fokussiert. Die barrierefreie Gestaltung des öffentlichen Raumes werde nachrangig bedacht. Es wird auch eher die Erfahrung gemacht, dass von Betroffenen selbst weniger eingefordert wird, als von außen; letzteres schnellere Aktionen zur Umsetzung impliziert. Zielvereinbarungen werden kaum als wichtiges Instrument angesehen. 

Als wichtig angesehen wird hingegen ein dauerhafter Austausch (bspw. über den Arbeitskreis der hauptamtlichen Behindertenbeauftragten in NRW), Vernetzung und den Querschnitt zu haben. Ebenso wird eine stärkere Vernetzung zur Landesebene als wichtig angesehen. Als große Problembereiche in der Umsetzung werden nach wie vor die finanzielle Dimension und Barrierefreiheit als Ländersache gegenüber Barrierefreiheit als Bausache vor Ort gesehen. Die Landesbauordnung bedarf einer Novellierung.

Auf das Angebot der Agentur Barrierefrei, die im Inklusionsgrundsätzegesetz NRW explizit aufgeführt wird, wird verstärkt zurückgegriffen (sowohl bei Beratungsanfragen als auch konkreten Aktionen – Durchführung von Selbsterfahrungs- / Simulationsmaßnahmen innerhalb der Verwaltung, usw.).

Diskutiert wurde des Weiteren, wie Menschen mit Behinderungen mehr einbezogen und zugleich bestärkt werden können.

Es wurde ferner festgestellt, dass die „Neuerungen“ im IGG NRW eher als Randerscheinung aufgefasst wurden. Es gehe weiter, wie bisher ohnehin schon die Vorgaben aus der UN-BRK Berücksichtigung fanden.

„Barrierechecker“ Projekt: Barrieren abbauen – Teilhabe ermöglichen

Im Zusammenhang mit möglichen Ansätzen wurde auf die sogenannten „Barrierechecker“ verwiesen. Hier arbeiten die Uni Siegen, der Kreis Siegen-Wittgenstein, die Agentur „Barrierefrei NRW“ und der Verein Invema e.V. aus Kreuztal zusammen. Sie bilden u.a. „Barrierechecker“ aus, um Freizeit-, Sport- und Kulturangebote so zu gestalten, dass sie jeder nutzen kann. Angehende Architekt/innen und Erziehungswissenschaftler/innen der Universität Siegen prüfen gemeinsam, wie barrierefrei Gebäude sind und wo Verbesserungspotenziale stecken.

 

Netzwerk Innenstadt NRW

Aus der Stadt Bedburg wurde auf die Erstellung eines Positionspapiers zum Thema ‚Inklusion und Stadtentwicklung‘ durch die Stabsstelle Soziale Stadt in der in Kooperation mit dem ‚Netzwerk Innenstadt NRW‘ (http://www.innenstadt-nrw.de) hingewiesen. Das Positionspapier kann aufgerufen werden über:
http://www.bedburg.de/city_info/display/dokument/show.cfm?region_id=336&id=391336

Workshop 5: Zugänglichkeit digitaler Medien/barrierefreie Gestaltung von Homepages

Workshopleitung: Martin Reichstein und Marcus Heuer, ZPE

Das Inklusionsgrundsätzegesetz Nordrhein-Westfalen verpflichtet die Träger öffentlicher Belange, Dienste und Einrichtungen für die Allgemeinheit barrierefrei zu gestalten sowie allgemein auffindbar, zugänglich und nutzbar zu machen (§ 7 Abs. 1 S. 1). Sonderdienste für Menschen mit Behinderung sollen allgemein soweit wie möglich vermieden werden. Dies betrifft auch den Bereich digitaler Medien, welche auch für den Alltag der Menschen in Nordrhein-Westfalen von zunehmender Bedeutung sind. Einen Überblick über die weiteren gesetzlichen Regelungen, die damit verbundenen Begrifflichkeiten und ausgewählte Aspekte des Themas gibt das Handout zum Workshop.

Handout zum Workshop

 

Im Workshop wurde zunächst die Bedeutung digitaler Medien für die Gegenwartsgesellschaft herausgearbeitet. Die Nutzung digitaler Medien im Allgemeinen und des Internets im Speziellen hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. 79,1 % der Deutsch sprechenden Erwachsenen ab 14 Jahren nutzen das Internet zumindest gelegentlich. 58 % dieser Personen sind täglich online (van Eimeren und Frees, 2014). Die Autorinnen gehen davon aus, dass bis 2018 rund 85% der o. g. Personen „online“ sein werden.

Im digitalen Raum bestehen unterschiedliche Arten von Barrieren für Menschen mit Beeinträchtigungen. US-amerikanische und deutsche Studien zeigen eine generell geringere Nutzung digitaler Medien durch Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung (z. B. Schmitz 2002, Dobransky und Hargittai 2006). Als wahrscheinliche Ursache wird eine insgesamt schlechtere wirtschaftliche Situation betroffener Personen vermutet. Rohrmann (2015) spricht in diesem Zusammenhang von der Reproduktion sozialer Ungleichheit durch neue Formen sozialer Ausgrenzung.
 

„Vorgelagerte“ Barrieren

Mittlerweile liegen vielfältige Onlinepublikationen z. B. in „Leichter Sprache“ vor. Das Problem ist in diesem Zusammenhang der grundsätzliche Zugang für die Zielgruppe. In der Praxis kommen dafür vielfältige Ursachen in Betracht. Im Ergebnis sind barrierefreie Webinhalte das eine, der grundsätzliche Zugang zum Internet das andere hier berührte Problem.

Zum einen Bestehen mit Blick auf digitale Medien grundsätzliche Risiken und Bedenken. In der allgemeinen Öffentlichkeit wird beispielsweise in breitem Umfang über Datenschutzrisiken, Cybermobbing, undurchsichtige Angebote und Bezahlsystem sowie allgemein über Internetkriminalität diskutiert.

Eine zentrale Rolle bei der Betreuung und Versorgung der hier betrachten Personengruppe kommt nach wie vor stationären Wohnangeboten zu (vgl. Dieckmann et al., 2010). Die Bewohner/innen dieser Einrichtungen haben häufig keinen Zugang zu digitalen Medien im Allgemeinen sowie zum Internet im Speziellen. Denkbare Ursachen hierfür sind aktive Diskriminierung (vgl. Düber und Göthling, 2013) vor allem aber Unsicherheit mit Blick auf die rechtliche Situation (vgl. Dorschel, 2009). Im Workshop wurde in diesem Zusammenhang über die jüngsten Gesetzesänderungen im Bereich der sogenannten „Störerhaftung“ diskutiert. Hierdurch soll es erleichtert werden, öffentlich zugängliche WLAN-Netzwerke bereitzustellen. Die Teilnehmer/innen des Workshops berichteten in diesem Zusammenhang von Erfahrungen aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung.

Mit Blick auf die Lebenswirklichkeit von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung stellen fehlende Endgeräte sowie Software eine weitere vorgelagerte Barriere dar. Bereits die Anschaffung, beispielsweise aufgrund hoher Kosten, ist häufig ein Problem. Mögliche Auswege sind in diesem Zusammenhang der Erwerb gebrauchter oder weniger leistungsfähiger Geräte sowie die Nutzung freier Software (z. B. Linux, LibreOffice). Diskutiert wurde die Frage, ob dies ein neuer Unterstützungsbereich für Einrichtungen und Dienste werden muss.

Eine weitere vorgelagerte Barriere stellt der andauernde technische Fortschritt dar. Dieser äußert sich nicht zuletzt in Form kurzer Produktlebenszyklen. Diese haben wiederum Sicherheitslücken in der Software zur Folge. Die technische Weiterentwicklung führt jedoch teilweise auch zu grundlegenden Veränderungen der Benutzeroberfläche. In diesem Zusammenhang wurde beispielhaft die Neugestaltung der Benutzeroberfläche des Betriebssystems Windows mit der Einführung von Version 8 diskutiert.

 

Barrierefreiheit digitaler Medien

Im zweiten Teil des Workshops thematisierte Marcus Heuer in einem Impuls die Barrierefreiheit digitaler Medien. Beispielsweise werden immer mehr Dienstleistungen, auch der Kommunen, ins Netz verlagert oder können dort in Anspruch genommen werden. In diesem Zusammenhang wurde die Bedeutung eines barrierefreien Webdesigns besonders hervorgehoben. Diskutiert wurden folgende Barrieren für die Internetnutzung durch Menschen mit Beeinträchtigungen:

  1. Visuelle Barrieren (z. B. Farbfehlsichtigkeit)
  2. Motorische Barrieren
  3. Auditive Barrieren

Im Vortrag wurde herausgestellt, dass barrierefreie Internetinhalte so zu gestalten sind, dass sie eine Nutzung von assistiver Technologie ermöglichen. Dies sei einer Implementation beispielsweise von Vorlesetechnologien auf einzelnen Seiten vorzuziehen.

Barrieren, beispielsweise visuelle Barrieren, lassen sich mithilfe entsprechender Browser-Plugins simulieren. Hierzu wurde mit den Teilnehmer/inne/n des Workshops eine Praxisphase durchgeführt. Gezeigt wurden dabei Webseiten, die als besonders problematische Beispiele gelten können. Gegenstand der Praxisphase waren folgende Aspekte:

  • ist die Webseite auch nur mit Tastatur steuerbar?
  • Kann der Inhalt auch dann nachvollzogen werden, wenn:
    • JavaScript deaktiviert ist
    • Nur der Text angezeigt wird? (Textbrowser)
  • Sind sinnvolle Alternativtexte gewählt worden?
  • Existieren bei Audioinhalten Textalternativen?
  • Sind alle wichtigen Elemente auch mit verschiedenen Farbfiltern erkennbar?

Barrierefreiheit digitaler Medien.pdf

Möglichkeiten der Wahrnehmung der Vorbildfunktion der Kommunen am Beispiel von Projekten aus dem Inklusionskataster NRW

Nachdem die Ergebnisse aller Workshops von den Verantwortlichen kurz im Plenum vorgetragen worden waren, wurden beispielhaft zwei Projekte aus dem Inklusionskataster NRW vorgestellt. Das erste allgemeine Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen hebt die Vorbildfunktion und die Aufgabe der Bewusstseinsbildung der Träger öffentlicher Belange hervor (vgl. §1 und §5 des Inklusionsgrundsätzegesetzes). In diesem Zusammenhang spielt die Kooperation mit Dritten – häufig auch im Rahmen von Inklusions-Projekten – eine wichtige Rolle. Projekte und auch andere Initiativen bieten dabei die Möglichkeit, Inklusion im Sinne einer Innovation voranzutreiben.

Walter Hövel stellte den Arbeitskreis „Alle inklusive Eitorf“ vor, der sich seit 2011 mit den unterschiedlichsten Projekten (z.B. öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zum Thema Inklusion) dafür einsetzt, dass die Teilhabe von Menschen mit Behinderung vor Ort zur Selbstverständlichkeit wird. Dabei wird auch immer wieder eng mit Politik und Verwaltung kooperiert (vgl. hierzu die Kurzdarstellung des Projektes im Inklusionskataster).

Marion Schmelter, Inklusionsbeauftragte aus Ennigerloh stellte anschließend das Projekt „Barrierefreie Geschäfte in Ennigerloh“ vor, in dem Schüler/innen die Geschäfte vor Ort in Hinblick auf ihre Barrierefreiheit bewerteten und Siegel vergaben.

Das Projekt zeichnete sich insbesondere durch die enge Zusammenarbeit ganz unterschiedlicher Akteure und auch die Bewusstseinsbildung auf unterschiedlichen Ebenen (z.B. der Schüler/innen und der Geschäftsleute) aus (vgl. hierzu auch die Kurzdarstellung im Inklusionskataster).

Barrierefreie Geschäfte in Ennigerloh (Fr. Schmelter)

23.05.2017

Prof. Dr. Johannes Schädler und Martin Reichstein vom ZPE gingen in Ihrem Vortrag auf die Unterstützung von Menschen mit komplexem Hilfebedarf als kommunale Koordinationsaufgabe ein. Anhand aktueller eigener Untersuchungen zum Personenkreis, der erwachsenen Menschen mit kognitiver oder psychischer Beeinträchtigung und einem Unterbringungsbeschluss nach § 1906 BGB konnten sie aufzeigen, dass diese häufig weit entfernt von ihrem Herkunftsort in Einrichtungen „platziert“ und teilweise von Einrichtung zu Einrichtung „prozessiert“ werden. Zudem ist die Tendenz erkennbar, geschlossene Wohnheime im Sinne eines „neuen Exklusionsbereichs“ speziell für diesen Personenkreis zu etablieren. Ihren Impuls nutzten Herr Prof. Dr. Schädler und Herr Reichstein, um mit den Teilnehmenden Möglichkeiten zur Stärkung der Koordination auf kommunaler Ebene zu diskutieren. So könnten beispielsweise sozialräumliche Kooperationen oder eine integrierende Sozialplanung wichtige Ansätze zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen mit komplexem Hilfebedarf sein.

 

Die Unterstützung von Menschen mit komplexem Hilfebedarf als kommunale Koordinationsaufgabe

Im Anschluss daran stellten sowohl Herr Kempf (ZPE) als auch Frau Kogler (Büro für Chancengleichheit, Oberhausen) Erfahrungen aus aktuellen kommunalen Planungsprozessen (in Oberhausen und in Olpe) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vor und zur Diskussion.

Inklusionsplanung Kreis Olpe (Hr. Kempf)

Inklusionsplanung Oberhausen (Fr. Kogler)

Den Abschluss der Tagung bildete der Vortrag von Herr Marcus Windisch, zu den Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben (KSL) in NRW bei der Entwicklung eines inklusiven Gemeinwesens. In seinem Vortrag betonte Herr Windisch auch die Potentiale der im Bundesteilhabegesetz geregelten ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung. Die KSL wollen in enger Zusammenarbeit mit der LAG SELBSTHILFE NRW die Selbsthilfe dabei unterstützen, eine ergänzende und trägerunabhängige Beratungsstruktur zu etablieren.

Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben in NRW bei der Entwicklung eines inklusiven Gemeinwesens (Hr. Windisch)