Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für die Idee der Inklusion

Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert in Artikel 8 „Bewusstseinsbildung“ 

"(…)1. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sofortige, wirksame und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um (a) in der gesamten Gesellschaft, einschließlich auf der Ebene der Familien, das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern;(b) Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen, einschließlich aufgrund des Geschlechts oder des Alters, in allen Lebensbereichen zu bekämpfen;(c) das Bewusstsein für die Fähigkeiten und den Beitrag von Menschen mit Behinderungen zu fördern."

Solche Aktivitäten der Bewusstseinsbildung sind dringend notwendig, denn oftmals dominiert nach wie vor ein von medizinischen Aspekten geprägtes Bild von Behinderung. Menschen mit Behinderungen werden als defizitär und hilfebedürftig angesehen. „Behinderung“ und „Leid/Mitleid“ sind in der Regel miteinander verknüpft und bei vorgeburtlichen Maßnahmen geht es häufig darum, „Behinderung“ zu vermeiden. Die planerische Umsetzung eines inklusiven Gemeinwesens muss daher einhergehen mit bewusstseinsbildenden Maßnahmen, die in Verwaltung und Öffentlichkeit für eine menschenrechtliche und bürgerrechtliche Sicht von „Behinderung“ werben. 

Kommunen sind Orte der Vielfalt und der sozialen Heterogenität und stellen sich den Herausforderungen eine Kultur des Zusammenlebens vor Ort zu gestalten. Maßnahmen in der Kommune können Tendenzen der Ausgrenzung, Segregation und Diskriminierung jeglicher Art entgegenwirken. Handlungsschritte zur Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung sind keinesfalls Neuland für kommunale Akteure und Planungsverantwortliche. Auch andere lokale Akteure wie Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Parteien, Verbände und Kulturschaffende verfügen oftmals über nutzbare Erfahrungen und sind aufgefordert, bewusstseinsbildende Aspekte insbesondere in der Planung aktiv zu berücksichtigen. In den meisten Kommunen gibt es Erfahrungen mit öffentlichkeitswirksamen Handlungen, die das Bewusstsein für thematische Herausforderungen wie beispielsweise Umweltschutz, soziale Ungleichheit, Gleichstellung der Geschlechter oder Demographie schärfen.

Aufgabe der Kommune dabei ist es, die Grundlagen für die Anerkennung von Verschiedenheit mitzugestalten. Vielerorts werden daher:

  • kulturelle Beiträge und Veranstaltungen zur Bewusstseinsbildung unterstützt;
  • Begegnungsmöglichkeiten geschaffen, die einen Erfahrungsaustausch unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ermöglichen; 
  • Fortbildungsmaßnahmen zu offenen, respektierenden und wertschätzenden Haltungs- und Handlungsweisen durchgeführt; 
  • Empowerment und Selbsthilfe unterstützt;
  • Gleichstellungsmaßnahmen eingeführt
  • ‚Expert/inn/en in eigener Sache‘ in Planungsprozesse mit einbezogen;
  • bewusstseinsbildende Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt;
  • Mainstreaming Strategien angewendet; 
  • u.v.m. 

Gemeinwohlverpflichtung, Chancengleichheit und Mainstreaming werden vom Deutschen Städtetag als Kernelemente einer integrierten Stadtentwicklungsplanung benannt. „Stadtentwicklungsplanung ist in erster Linie dem Gemeinwohl verpflichtet und konkretisiert es auf kommunaler Ebene. Sie hat das Ziel, die Chancengleichheit von verschiedenen Teilräumen sowie von unterschiedlichen Alters- und Sozialgruppen der Stadtgesellschaft zu wahren; das schließt eine geschlechtergerechte Planung (Gender Mainstreaming) ein. Mit konsensfähigen Lösungen (oder zumindest mit akzeptablen Kompromissen) kann sie angesichts wachsender sozialer und räumlicher Ungleichgewichte bei Zielkonflikten für einen gerechten Interessenausgleich sorgen und damit zur Wahrung des sozialen Friedens beitragen“ (Deutscher Städtetag 2011: 6).

So haben viele Kommunen basierend auf § 5 der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung (Gleichstellung von Frau und Mann) in ihrer jeweiligen Hauptsatzung Gender Mainstreaming als kommunale Strategie verankert. Zudem gehören etliche Städte und Kreise in Nordrhein-Westfalen zu den Unterzeichnern der Charta der Vielfalt1. Im Kontext des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), welches Regelungen zur Verhinderung von Diskriminierungen im zivil- und arbeitsrechtlichem Bereich enthält, spielt auch die Beschäftigung von Schwerbehinderten eine wichtige Rolle für das Mainstreaming in kommunalen Verwaltungen und Betrieben.

Der sensibilisierende und bewusstseinsbildende Umgang mit Diversity muss demnach nicht völlig neu entwickelt werden, sondern kann auf bestehenden Erfahrungen und Strukturen aufbauen.

aus der Arbeitshilfe „Inklusive Gemeinwesen planen“ S.65f.

  • Rohrmann, Albrecht; Schädler, Johannes; Kempf, Matthias; Konieczny, Eva; Windisch, Marcus (2014): Inklusive Gemeinwesen Planen Eine Arbeitshilfe, hrsg. vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 2014.

UN-BRK Artikel 8 - Bewusstseinsbildung

 

  1. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sofortige, wirksame und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um: 
    1. in der gesamten Gesellschaft, einschließlich auf der Ebene der Familien, das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern; 
    2. Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen, einschließlich aufgrund des Geschlechts oder des Alters, in allen Lebensbereichen zu bekämpfen; 
    3. das Bewusstsein für die Fähigkeiten und den Beitrag von Menschen mit Behinderungen zu fördern.
  2. Zu den diesbezüglichen Maßnahmen gehören:
    1. die Einleitung und dauerhafte Durchführung wirksamer Kampagnen zur Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit mit dem Ziel,
      1. die Aufgeschlossenheit gegenüber den Rechten von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen, 
      2. eine positive Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen und ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein ihnen gegenüber zu fördern, 
      3. die Anerkennung der Fertigkeiten, Verdienste und Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen und ihres Beitrags zur Arbeitswelt und zum Arbeitsmarkt zu fördern; 
    2. die Förderung einer respek­tvollen Ein­stel­lung gegenüber den Recht en von Men­schen mit Behin­derun­gen auf allen Ebe­nen des Bil­dungssys­tems, auch bei allen Kindern von früher Kind­heit an;
    3. die Auf­forderung an alle Medienor­gane, Men­schen mit Behin­derun­gen in einer dem Zweck dieses Übereinkom­mens entsprechen­den Weise darzustellen;
    4. die Förderung von Schulungsprogrammen zur Schärfung des Bewusstseins für Menschen mit Behinderungen und für deren Rechte.