Partizipation und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen

Vor dem Hintergrund des Grundsatzes

‚Nichts über uns, ohne uns‘

ist die Beteiligung von Menschen mit Behinderung an der Ausgestaltung des Inklusionsprozesses bzw. an kommunalen Planungsprozessen essentiell und eine klare Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). 

Die UN-BRK fordert in Artikel 4, Absatz 2 „Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderungen, über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.“

Außerdem garantieren die Vertragsstaaten nach Artikel 29 „Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen“. Sie verpflichten sich zudem „aktiv ein Umfeld zu fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten mitwirken können, und ihre Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten zu begünstigen, unter anderem

  • die Mitarbeit in nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen, die sich mit dem öffentlichen und politischen Leben ihres Landes befassen, und an den Tätigkeiten und der Verwaltung politischer Parteien;
  • die Bildung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen, die sie auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene vertreten, und den Beitritt zu solchen Organisationen.“

Durch Partizipation werden politische Entscheidungen legitimiert, auch wenn diese kontrovers sind. Grundlage einer demokratischen Gesellschaft ist die politische Partizipation. Es kommt darauf an, dass die Bürgerinnen und Bürger, die von einer Entscheidung betroffen sind, ihre Interessen artikulieren können und dass diese wahrgenommen und tatsächlich berücksichtigt werden. Gerade in Bezug auf kommunalpolitische Entscheidungen ist das Interesse an der Mitgestaltung des Lebensumfeldes hoch.

Es gibt nicht nur traditionelle Formen der demokratischen Beteiligung durch Wahlen. Im Bereich der politischen Beteiligung auf kommunaler Ebene, beispielsweise im Bereich der Stadtentwicklung oder der Verkehrsplanung, liegen z.B. zahlreiche Erfahrungen mit erweiterten Formen der Partizipation vor (vgl. z.B. die Beispiele und Praxishilfen auf www.buergergesellschaft.de). Die Erfahrung ist, dass beteiligungsorientiertes Planungshandeln Ergebnisse verbessert, das Bürgerengagement im Gemeinwesen fördert und zu einer größeren Akzeptanz von Entscheidungen beiträgt.

Wenn solche aktivierenden Beteiligungsformen fehlen, dann führt dies leicht dazu, dass die Interessen von Minderheiten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen nur unzureichend vertreten und berücksichtigt werden können. Am Beispiel der Umsetzung von Barrierefreiheit wird deutlich, dass die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse von verschiedenen Gruppen von Menschen mit Behinderungen nur über erweiterte Verfahren der Beteiligung berücksichtigt werden können. Über die demokratische Beteiligung hinaus geht es auch um Fragen einer guten Planung. Wenn Menschen mit Behinderungen als ‚Expert/inn/en in eigener Sache‘ rechtzeitig und umfassend einbezogen werden, können Fehlplanungen vermieden und Kosten gesenkt werden

An dieser Stelle ist zu vermerken, dass Mitbestimmung, die Ausgestaltung eines eigenen Entscheidungsbereiches oder das Einräumen eines Vetorechtes, beispielsweise bei der barrierefreien Ausgestaltung öffentlicher Gebäude, Formen echter Partizipation darstellen.

Damit die Partizipation einzelner oder sozialer Gruppen erfolgreich wird, muss sie eingebettet sein in eine Kultur der Partizipation. Es müssen sich Menschen finden, die sich in den Beteiligungsgremien engagieren. Dies ist dann gut möglich, wenn die Beteiligung Wertschätzung und Anerkennung findet. Notwendig ist die Erfahrung, dass die kritische Begleitung von Entscheidungen gewünscht ist und Beschlüsse des Beteiligungsgremiums aufgegriffen werden.

aus der Arbeitshilfe „Inklusive Gemeinwesen planen“ S.45f.

- Rohrmann, Albrecht; Schädler, Johannes; Kempf, Matthias; Konieczny, Eva; Windisch, Marcus (2014):Inklusive Gemeinwesen Planen Eine Arbeitshilfe, hrsg. vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 2014.

UN - BRK Artikel 4 - Allgemeine Verpflichtungen Absatz 3

“Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderungen, über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.”

Artikel 29 -Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben

Die Vertragsstaaten garantieren Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen, und verpflichten sich, 

  1. sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sei es unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter oder Vertreterinnen, was auch das Recht und die Möglichkeit einschließt, zu wählen und gewählt zu werden; unter anderem
    1. stellen sie sicher, dass die Wahlverfahren, -einrichtungen und -materialien geeignet, zugänglich und leicht zu verstehen und zu handhaben sind;
    2. schützen sie das Recht von Menschen mit Behinderungen, bei Wahlen und Volksabstimmungen in geheimer Abstimmung ohne Einschüchterung ihre Stimme abzugeben, bei Wahlen zu kandidieren, ein Amt wirksam innezuhaben und alle öffentlichen Aufgaben auf allen Ebenen staatlicher Tätigkeit wahrzunehmen, indem sie gegebenenfalls die Nutzung unterstützender und neuer Technologien erleichtern;
    3. garantieren sie die freie Willensäußerung von Menschen mit Behinderungen als Wähler und Wählerinnen und erlauben zu diesem Zweck im Bedarfsfall auf Wunsch, dass sie sich bei der Stimmabgabe durch eine Person ihrer Wahl unterstützen lassen;
  2. aktiv ein Umfeld fördern, in dem Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten mitwirken können, und ihre Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten zu begünstigen, unter anderem
    1. die Mitarbeit in nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen, die sich mit dem öffentlichen und politischen Leben ihres Landes befassen, und an den Tätigkeiten und der Verwaltung politischer Parteien;
    2. die Bildung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen, die sie auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene vertreten, und den Beitritt zu solchen Organisationen.